Delattinia News

Von Sandbienen und Wollschwebern - eine Fußnote zum Darwin-Jahr

Datum: 

18.04.2009

Ort: 

St. Ingbert

Die Weiden-Sandbiene Andrena vaga gehört zu den früh fliegenden Wildbienenarten. Sie legt ihre Bodennester gesellig in sandigem Boden an und sammelt Pollen von Salix-Arten, um die Nester mit Larvennahrung zu verproviantieren. Die auffallend mit gelbem Pollen beladenen Weibchen bleiben dem aufmerksamen Blick des Spaziergängers ebenso wenig verborgen wie verschiedenen Parasitoiden unter den Insekten, die den vom Beuteflug heimkehrenden Wirtsbienen auflauern, um ihre Kuckuckseier in deren Nester zu legen. 

 

Darwins Selektionstheorie beruht bekanntlich u.a. auf der Beobachtung, dass trotz eines hohen Nachkommensüberschusses die Populationen der meisten Arten langfristig konstant bleiben. Die Mehrzahl der Nach-kommen müsse also verschiedenen Umweltfaktoren zum Opfer fallen wie Fressfeinden, Parasit(oid)en, ungünstiger Witterung usw.

Wie hoch der Tribut ist, den Wildbienen an Parasitoide zu entrichten haben, mögen folgende Beobachtungen zeigen:
Schauplatz des kleinen Dramas ist eine kaum zwei Quadratmeter große Kolonie der Weiden-Sandbiene Andrena vaga an einem südexponierten, sandigen und bodenoffenen Wegrand im Wald ("Franzosengrab") zwischen St. Ingbert und Rohrbach. Die Kolonie beginnt, je nach Witterung, meist im März (im Jahre 2007 bereits am 12.März) sich zu beleben, wenn die Sandbienen-Männchen dicht über dem Sandboden patrouillieren in Erwartung paarungsbereiter Weibchen, die erst nach ihnen schlüpfen. Dann erscheinen weitere Akteure auf der Bühne, um ihren Part zu spielen: Wollschweber (Bombylius maior), Kuckucksbienen (Nomada lathburiana), Blutbienen (Sphecodes spec.), parasitoide Fliegen aus der Familie der Sarcophoridae (Miltogramma spec.) und schließlich Rote Waldameisen (Formica spec.), welche vor allem die Rolle des Totengräbers, weniger die des Prädators spielen.
Ob die sporadisch am Schauplatz des Geschehens erscheinenden Feld-Sandlaufkäfer (Cicindela campestris) Mitspieler, Statisten oder Zuschauer sind, kann nicht beurteilt werden.

 

Kuckucksbiene (Nomada lathburiana) belauert heimgekehrtes Andrena vaga-Weibchen (Foto: Ulf Heseler)
Der auffälligste Parasitoid ist der Große Wollschweber (Bombylius maior), ein pelzig behaarter, mit einem langen, nicht einziehbaren Saugrüssel versehener Zweiflügler, der in Kolibrimanier mit schwirrenden Flügeln vor den Blüten von Frühblühern steht, um Nektar zu saugen. Ständig fliegen mehrere Weibchen über der Sandbienen-Kolonie, tauchen die Abdomenspitze in den trockenen Sand, um die Eier mit einer feinen Staubschicht einzupudern und sie dann aus dem Flug auf die Wildbienennester zu werfen.
Die Entwicklung der Larven ist polymetabol: die beweglichen Erstlarven suchen die Wirtsnester auf und ernähren sich dort in den folgenden Stadien als träge Maden zunächst vom Futtervorrat der Wirtslarve, dann von dieser selbst. Nach der Überwinterung als Larve verpuppen sie sich im Wirtsnest. Die mit Borsten und Dornen versehene bewegliche Puppe gräbt sich im Frühjahr aus ihrem unterirdischen Verlies ins Freie, wo die Imaginalhäutung erfolgt.

 

Vor zwei Jahren wollte es der Zufall, dass ich Zeuge des Schlupfakts wurde: ein Dutzend teilweise noch nicht pigmentierter Wollschweber-Imagines hingen an einem warmen Märztag (13.03.07) unbeweglich an Halmen in der Kolonie ihres Wirtes, unter ihnen am Boden die leeren Puppenhüllen. Die Sandbienen nahmen nicht die geringste Notiz von ihren nun erwachsen gewordenen Wechselbälgen. Die Puppen-Exuvien wurden abgesammelt: es waren nicht weniger als 30 Exemplare, am nächsten Tag wurden weitere 40 Ex. aufgelesen, am folgenden Tag blieb die Nachsuche ergebnislos. Die Summe von 70 Puppenhäuten muss aber vermutlich nach oben korrigiert werden angesichts all derer, welche nicht gefunden, vom Winde verweht oder vielleicht von Ameisen davongetragen worden waren.

In diesem Jahr, 2009, lieferte ein Besuch am 12.04.09 an derselben Kolonie die Ausbeute von sage und schreibe 104 Bombylius-Exuvien. Die Beobachtungen mussten leider für ein paar Tage unterbrochen werden. Am 18.04.09, einem Regentag, wurden in der Kolonie weitere 25 Puppenexuvien gefunden, vermutlich solche, welche am 12.04.09übersehen worden waren, denn meine Beobachtungen lassen vermuten, dass die meisten Tiere innerhalb der kurzen Zeitspanne von 1-2 Tagen schlüpfen. Ein weiterer Kurzbesuch am folgenden Tag, kurz vor Mittag, bei besseren Wetterbedingungen (Sonne), erbrachte weitere 43 Puppenhäute, angesichts der nasskalten Witterung der vorangegangenen Tage sicher nicht die von frisch geschlüpften Tieren. Denn in der Kolonie schien das Leben nach mehrtägigem Regen bis auf zwei träge Sandbienen und eine Nomada lathburiana erloschen zu sein. Wollschweber zeigten sich nicht.

 

(Für Hinweise von Dipteren-Experten zu Miltogramma wäre der Autor dankbar).

Diese Erfahrung zeigt, dass die Dunkelziffer der (z.B. in Falllaub und Grasbüscheln) unentdeckt bleibenden Exuvien hoch sein muss. Es ist daher sicher nicht übertrieben anzunehmen, dass in diesem Jahr wohl mindestens 200 Wollschweber allein von dieser kleinen Sandbienen-Kolonie "erbrütet" worden sind. Wenn man die schwieriger zu beziffernden Verluste durch Kuckuckucks-Bienen, parasitoide Fliegen und Räuber hinzurechnet, muss der Aderlass enorm sein, dem die Sandbienen-Population alljährlich ausgesetzt ist.
Und dennoch existiert die Kolonie unvermindert seit vielen Jahren, dank einer Fortpflanzungsrate, die sich im Laufe der Evolution auf diese Verluste eingestellt haben muss.
Interessant ist, wie bereits angedeutet, dass in der Sandbienen-Kolonie keine aggressiven Interaktionen zwischen Wirt und Parasitoid beobachtet wurden, die Wirtsbienen also nichts unternehmen, um sich ihrer Plagegeister zu erwehren, als habe sich bei einer entsprechend "eingestellten" Fortpflanzungsrate die Entwicklung besonderer Abwehrstrategien erübrigt.

Literatur: 

Bellmann, H. (1999): Der neue Kosmos-Insektenführer. Stuttgart.
Jacobs, W. (1998): Biologie und Ökologie der Insekten: ein Taschenlexikon/begr. von Werner Jacobs und Maximilian Renner. - 3.Aufl./ überarb. von Klaus Honomichl. - Stuttgart; Jena; Lübeck; Fischer.
Müller,A. ,Krebs, A. & Amiet, F. (1997): Bienen. Mitteleuropäische Gattungen, Lebensweise, Beobachtung.
Naturbuch-Verlag, München.
Westrich, P (1990): Die Wildbienen Baden-Württembergs. Allgemeiner Teil. Ulmer, Stuttgart.

Autor(en): 

Ulf Heseler

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Von Kobolden und Blasebälgen

Datum: 

16.12.2008

Nachdem der diesjährige Herbst den Pilzsammlern und Mykologen ein so reiches Pilzangebot beschert hat, dürfen sich nun die Bryologen auf ein bemerkenswertes Moos freuen, das nach den bisherigen Funden offenbar optimale Wachstumsbedingungen findet, denn seine Kapseln schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden: das Koboldmoos (Buxbaumia aphylla), ein Verwandter des Blasebalgmooses (Diphyscium foliosum), das an ähnlichen Standorten zu finden ist (s.u.).
Beide Laubmoose gehören zur Ordnung der Buxbaumiales, die zwei artenarme Familien umfasst, die Buxbaumiaceae und Diphysciaceae, welche in Mitteleuropa mit jeweils nur zwei bzw. einer Art vertreten sind: das Koboldmoos Buxbaumia aphylla (ferner die im Saarland noch nicht nachgewiesene, in Deutschland sehr seltene B. viridis) und das Blasebalgmoos Diphyscium foliosum, der einzige Vertreter der Diphysciaceen in Europa.
Beide Laubmoose sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Systematisch nehmen sie innerhalb der Bryophyten eine Sonderstellung ein, da sie keiner anderen Moos-Familie angeschlossen werden können. Man nimmt daher an, dass es sich um eine phylogenetisch abgeleitete, stark spezialisierte Gruppe handelt, vermutlich letzte Überlebende eines Zweiges, dessen frühere Vertreter ausgestorben sind.

Bemerkenswert sind beide Moosarten auch in ihrer Morphologie. Buxbaumia aphylla (aphylla: "blattlos") besteht praktisch nur noch aus einem Sporophyten, d.h. einem warzigen Stiel (Seta), der eine ovale, an der Oberseite abgeflachte Kapsel trägt, während die Gametophyten (d.h. die eigentlichen Moospflanzen) extrem reduziert und praktisch unsichtbar sind. Das erinnert an die extreme Reduktion des Gametophyten bei den Gefäßpflanzen. Buxbaumia ist also mangels ausreichend eigenen assimilierenden Gewebes in ihrer Ernährung auf die Lebensgemeinschaft mit Humus bewohnenden Pilzen angewiesen. Geht es diesen gut, so gedeihen auch die Koboldmoose. Das erklärt die Häufung der Nachweise nach einem guten Pilzherbst.

 

Bei Diphyscium foliosum (foliosum: "beblättert") dagegen ist der Gametophyt nicht reduziert, er wird durch niedrige Rosetten dunkelgrüner Pflänzchen mit zungenförmigen Blättchen repräsentiert. In den Blatt-rosetten sitzen die, im Gegensatz zu Buxbaumia, ungestielten großen Kapseln.
Beiden Laubmoosen gemeinsam ist eine unter den heimischen Moosen einzigartige Methode, die Sporen auszustreuen, denn sie bedienen sich beide des Blasebalgmechanismus: ihre Kapseln sind, was ungewöhnlich ist im Reich der Moose, asymmetrisch (dorsiventral) gebaut: fallen Regen-tropfen auf die obere, flache und dünnhäutige Kapselwand, so werden die Sporen durch den dadurch entstehenden Druck ausgeschleudert. Es ist derselbe Mechanismus, der bei vielen Bauchpilzen (z.B. den Bovisten) für die Ausstäubung der Sporen sorgt.
 

 


Bemerkenswert ist ferner, dass in einer Population fruchtender Kobold- und Blasebalgmoose alle Kapseln gleich ausgerichtet sind, denn alle Sporogone stellen die flache Kapseloberseite dem maximalen Lichteinfall entgegen (Phototropismus). Das verleiht einer Buxbaumia- oder Diphyscium-Herde den Anschein einer militärisch disziplinierten Truppe.

Das Koboldmoos galt lange als unstete und seltene Art. Das hängt zum einen mit der beschriebenen Ernährungsweise zusammen, zum anderen damit, dass das Zeitfenster für den Nachweis dieser Art nur im Herbst und Winter offen steht, denn erst im Spätherbst erscheinen die Sporogone und die reduzierten Gametophyten sind ja nicht nachweisbar.

Das Blasebalgmoos dagegen, eine bei uns mäßig häufige Art, ist aufgrund seines gut ausgebildeten Gametophyten das ganze Jahr über zu finden. Beide Arten kommen an kalkfreien Standorten vor: an sonnigen bis halbschattigen, ausgehagerten, sandigen, lückig bewachsenen, nicht zu trockenen Wegböschungen, ferner an humosen Sandsteinfelsen in Laubwäldern vor allem der Buntsandsteingebiete. Im Saarbrücken-Kirkeler Wald sind sie sogar relativ häufig. Die intensive Mooskartierung der letzten Jahre im Saarland hat gezeigt, dass sich diese interessante Art als sehr viel häufiger erwiesen hat als bisher angenommen.

Die Literaturangaben von der Seltenheit und Unstetigkeit dieses Mooses bedürfen einer Korrektur. Jedenfalls dürfte die Art nirgendwo in Mitteleuropa eine höhere Bestandsdichte als im Saarland erreichen.

Foto 3: Buxbaumia aphylla, Stafflerhang, Staffelberg, südl. Sengscheid, 11.11.08 (Foto: U. Heseler)

Literatur: 

Frahm, J.-P. 2001: Biologie der Moose. Spektrum Akademischer Verlag, Gustav Fischer, Heidelberg Berlin. S. 101-104
Heseler, U. 1998: Buxbaumia aphylla, Cryphaea heteromalla und Sematophyllum demissum im Saarland: Zur Verbreitung und Gefährdung in Mitteleuropa seltener Laubmoose. Abh. DELATTINIA 24, Saarbrücken, S.81-108.

Autor(en): 

Ulf Heseler

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Massenvermehrung und Exodus der Misthaufenspinne Ostearius melanopygius bei Schengen/Luxemburg

Datum: 

19.10.2008
Am 19. Oktober 2008 zog ein riesiger, ca. 20 x 50 m großer Misthaufen am Westrand der Gemeinde Schengen die Aufmerksamkeit von Elke und Wolfgang Menzel aus Merzig auf sich, da er über und über mit Spinnweben bedeckt war, wie man es sonst eigentlich nur aus diversen Horrorfilmen kennt.

Dieses Phänomen war mir bereits aus der Literatur bekannt, selbst beobachten konnte ich so ein Verhalten allerdings noch niemals. Insbesondere die Art Ostearius melanopygius ist bekannt dafür, dass sie solche Netze auf Komposthaufen und Misthaufen anlegt, und zwar im Zusammenhang mit simultanen Massenauswanderungen mittels Fadenfloss.
Ostearius ist ein Neubürger (Neozoon) mit großem Ausbreitungspotenzial in Europa, der ursprünglich wohl aus Neuseeland stammt. Möglicherweise handelt es sich hierbei auch um die erste Beobachtung dieser Art in Luxemburg.
Ostearius melanopygius
Abb.1: Misthaufen bei Schengen vollständig überzogen mit Spinngewebe (Foto: W. Menzel)
 
Ostearius melanopygius
Abb.2: Die Bewohner des Misthaufens bei Schengen: Ostearius melanopygius (Foto: W. Menzel)
(weitere Fotos in der ->Fotogalerie der Arachnologischen Gesellschaft)

Autor(en): 

A. Staudt

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Felsenspringer an den Hängen des Saartals bei Saarfels

Datum: 

26.09.2008
Aus den zahlreichen Funden von Felsenspringern an den Felsstandorten des Nahe-Berglands in diesem Frühjahr ergibt sich zwanglos, dass diese Tiergruppe auch im Saarland vorkommen muss. Sichtungen undeterminierter Tiere vom Primsdurchbruch liegen ja auch bereits vor (->Bericht)[Link fehlt].

Der jetzige Fund von Lepismachilis y-signata an einem sehr steilen Trockenhang bei Saarfels überraschte mich dann doch ein wenig. Die Tiere hielten sich im alten Blätterfilz von Trespenhorsten (Bromus erectus), die an dem Hang auf kleinen Ameisenhügeln wuchsen, auf. Steiniges Substrat war so gut wie nicht vorhanden.
Obwohl der Hang auf den ersten Blick einen recht natürlichen Eindruck vermittelt (Bewuchs, Verbuschung usw.), erwies sich das Bodensubstrat bei genauerem Hinsehen als eher nicht autochton, sondern als aufgeschüttetes Feinmaterial mit einzelnen bauschuttartigen Beimengungen. Da sich weiter oberhalb ein kleiner "Steinbruch" befindet, der ebenfalls teilweise mit Fremdmaterial verfüllt ist, darf man wohl mit Recht davon ausgehen, dass auch der Hang anthropogenen Ursprungs ist.
Dies erschwert natürlich die Bewertung des Fundorts. Sind die Tiere vielleicht nur eingeschleppt worden? Oder genügt ihnen doch bereits der geringe Anteil von Grobmaterial, wie er für die Muschelkalklandschaften des westlichen Saarlandes typisch ist, als Lebensraum? Oder gibt es bei dieser Artengruppe überhaupt gar keine ursächliche Bindung an steinige Lebensräume?
Foto: Lepismachilis y-signata bei Saarfels

Autor(en): 

A. Staudt

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