Datum:
Ort:
Die Gespensterwanze Phymata crassipes zählt zu den bizarrsten Arten unserer Wanzenfauna. Sie gehört zur Familie der Reduviidae (Raubwanzen) und ist die einzige heimische Vertreterin der Unterfamilie der Phymatinae. Die morphologischen Abweichungen von den Raubwanzen sind allerdings so groß, dass die Gespensterwanzen auch in eine eigene Familie eingeordnet werden.
Die Gattung Phymata ist mit 80 Arten in Neotropis und Nearktis, aber nur mit vier Arten in der Paläarktis vertreten. In Mitteleuropa kommt nur die Art P. crassipes vor, eine nach WACHMANN et al. (2006) nur in SW-Deutschland etwas häufigere Art; im Saarland ist sie jedoch mit bislang nur 5 Nachweisen eher eine Rarität.
Die Vorderbeine dieser unverkennbaren Art sind zu Fangbeinen umgewandelt, dabei werden die Schienen (mit den verkümmerten Fußgliedern) gegen die Schenkel eingeklappt. Mit ihnen ergreift der von Wanzenfreunden liebevoll "Teufelchen" genannte Lauerjäger seine Beute. Die Körpergestalt erinnert an vertrocknete Pflanzenteile. Die Fühler werden in Ruhe in seitlich am Kopf verlaufenden Rinnen eingelegt. Die xero-thermophile Art ist auf Blüten in trocken-warmen Habitaten wie Kalkmagerrasen, und Felsheiden zu finden, wo die Tiere, ähnlich wie Krabbenspinnen, Blütenbesucher erbeuten, die deutlich größer sein können als sie selbst.
Die bis 2006 einzigen Nachweise im Saarland stammen von Aloysius Staudt, der die Art in den Jahren 2002 - 2003 bei Saarfels/Beckingen (Newsartikel), im NSG Badstube bei Mimbach (Newsartikel vom 11.05.2003) und im NSG Hammelsberg bei Perl (Newsartikel vom 27.06.2003) fand (KALLENBORN 2006).
Am 15. Juli 2006 gelang dem Autor dieser Zeilen ein vierter Nachweis der Art, zugleich ein Erstnachweis für den Naturraum Saar-Blies-Gau: in einem Kalkmagerrasen am Osthang des Würzlings südl. Bebelsheim (6808/415) wartete auf dem Blütenkopf einer Margerite ein subadultes Exemplar auf Beute.
Es sollten zwei Jahre vergehen, bis der nächste Nachweis gelang: Am 18. Juni 2009 wurden zwei adulte Tiere am Magerrasenhang nordwestl. der Rebenklamm nördl. Reinheim gefunden.
Das eine Tier, das sich durch seine dunklere Färbung als Männchen auswies, hatte auf dem Blütenstand einer Margerite eine nicht bestimmte kleine Hymenoptere erbeutet. Nachdem der Räuber die Überreste seiner ausgesaugten Beute fallen gelassen hatte, fuhr sein Rüssel in die Röhrenblüten seines Blumenansitzes, als wollte das - eigentlich als rein zoophag geltende -Tier mit einem Schluck Nektar seine Mahlzeit beschließen.
Die Wanze erklomm schließlich die Zungenblüten ihrer Warte, um davon zu fliegen. Wenige Meter entfernt wurde abermals ein männliches Exemplar, ebenfalls auf einer Margerite, gefunden. Der Vergleich der Belegfotos läßt freilich vermuten, dass es sich möglicherweise um dasselbe Tier gehandelt hat.
Schließlich wurde, keinen Steinwurf entfernt, ein ebenfalls adultes Exemplar auf dem Blütenstand einer Skabiose entdeckt. Die eher gelbbraune Färbung lässt hier auf ein Weibchen schließen. Auch dieses Tier hielt nur magere Kost, einen millimetergroßen schwarzen Käfer, in seinen Fängen.
Vielleicht regen die geschilderten Beobachtungen auch heteropterologische Laien dazu an, nach diesen interessanten und leicht kenntlichen Wanzen Ausschau zu halten, denn es bedarf zu ihrer Bestimmung keiner Spezialkenntnisse. Angesichts der Vielzahl gut geeigneter Biotope im Saarland ist sicher mit weiteren Nachweisen zu rechnen.
Literatur:
Kallenborn, H.G. (2006): Copium clavicorne (LINNAEUS, 1758), eine Blütengallen induzierende Tingide, und weitere Ergänzungen zur Wanzenfauna des Saarlandes (Insecta: Heteroptera).- Abh. der Delattinia 31: 79-87
Wachmann, E., Melber, A. & Deckert, J. (2006): Wanzen, Band 1. Die Tierwelt Deutschlands, 77. Teil. - Goecke & Evers, Keltern.
Wachmann, E. (1989): Wanzen beobachten - kennenlernen. Neumann-Neudamm, Melsungen.