Vor einigen Jahren machte der Freiburger Biologe Michael Lüth aber eine interessante Entdeckung. Er fand in einer alten Schrift eine Angabe vom Glatten Kissenmoos aus einer Gegend im Südbadischen, in der es überhaupt keine Felsen gibt. Es konnte - wenn sich der Gewährsmann sich nicht fürchterlich vertan hatte - eigentlich nur auf Dächern gewachsen sein.
Er fuhr hin und fand das Moos auf Anhieb wieder. Er suchte in der Umgebung und entdeckte weitere Fundstellen. Und fand dann heraus: Grimmia laevigata wächst (fast) ausschließlich auf handgestrichenen Biberschwanzziegeln.
Bei diesen wurde der Ton per Hand in eine Form gestrichen und dann gebrannt. Solche Ziegel werden seit 90 Jahren nicht mehr hergestellt, erweisen sich aber als sehr robust und langlebig. Sie sehen auch richtig schön aus, da jeder einzelne eine individuelle Struktur und Farbe hat. Diese Patina würde man bei Industrieziegeln nie so hinbekommen. Und das ist auch das Geheimnis von Grimmia laevigata: Industrieziegel sind für die Art zu glatt - das Moos braucht die Rauheit der Handgestrichenen!
Michael Lüth wusste nun, wo er zu suchen hatte - und fand Grimmia laevigata und die an ähnliche Standortbedingungen gebundene Schwesterart, das Eiförmige Kissenmoos (Grimmia ovalis), fast in der gesamten badischen Rheinebene. Die Zahl der Dach-Fundorte überstieg rasch die der Fels-Fundorte um ein Vielfaches. Wie häufig muss das Moos früher gewesen sein, als die Handgestrichenen noch Standard für die Dacheindeckung darstellten? Heute gibt es in Baden nur noch wenige Dächer dieser Art pro Siedlung. Irgendwann in den nächsten Jahrzehnten wird die Dach-Episode von Grimmia laevigata wieder vorbei sein - wenn alle handgestrichenen Biberschwanzziegel zu Bruch gegangen sind. Heute geht man im Denkmalschutz und in der Gebäuderestauration immerhin sehr behutsam mit ihnen um. Werden Schuppen und andere alte Gebäude abgerissen, werden die dort noch vorhandenen Biberschwanzziegel sorgfältig aufgehoben und wieder verwendet.
In anderen Regionen Deutschlands gelang eine mit der badischen Rheinebene vergleichbare Nachweisdichte von Grimmia laevigata bisher noch nicht ansatzweise. Es mangelt an Biberschwanzdächern in geeigneten warmen Lagen - denn das Moos meidet die kühl-feuchten Mittelgebirgslagen und den Norden.
Im Saarland sind Dächer mit handgestrichenen Biberschwanzziegeln ziemlich selten. Das ist das Ergebnis der Kriegswirren, angefangen mit dem deutsch-französischen Krieg 1870-1871, als sehr viel Bausubstanz verloren ging und die verarmte Bevölkerung sich mit wenig geeignetem Baumaterial behelfen musste und zu Trümmer-Recycling gezwungen war. Ich achte seit Jahren darauf, habe aber bisher nur sehr wenige Dächer gesehen, die für Grimmia laevigata geeignet wären.
Und nun in Wolfersheim: hier gibt es zahlreiche Bauernhaus- und Schuppendächer, die mit handgestrichenen Biberschwanzziegeln gedeckt sind. Am ersten Schuppendach in Greifhöhe gelang dann auch der Nachweis - das erste Dachvorkommen und insgesamt der dritte bekannte Fundort für das Glatte Kissenmoos, Grimmia laevigata, im Saarland. Schön, dass das ausgerechnet in Wolfersheim gelang.
Artikel von Michael Lüth über das Vorkommen von Grimmia laevigata in Baden:
http://www.milueth.de/Publikationen/Handstrich.htm
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